
Home-Office – 11 arbeitsrechtliche Erkenntnisse aus der Corona-Krise
Dr. Denis G. Humbert, Fachanwalt SAV Arbeitsrecht, beantwortet im Interview die aktuellsten Fragen rund um arbeitsvertragliche Regelungen, Spesen-, Miet- und Infrastruktur-Entschädigungen – und wer die Kosten für das Home-Office tragen muss.
1. Durften die Arbeitgebenden ihre Angestellten bei Beginn der Corona-Krise zu Home-Office verpflichten?
Grundsätzlich Ja. Dies aufgrund der Treuepflicht der Arbeitnehmenden und der Tatsache, dass der Arbeitnehmer gemäss dem Arbeitsgesetz zu deren Schutz verpflichtet ist. Zudem müssen diese beim Gesundheitsschutz mitwirken und ihre Arbeit soweit zumutbar auch unter diesen herausfordernden Bedingungen leisten. Vor der Corona-Krise wäre für Home-Office die Zustimmung der Arbeitnehmenden nötig gewesen.
2. Sollte diese Verpflichtung in Zukunft vertraglich geregelt werden?
Ja. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, empfiehlt sich, dass die Parteien vorsorglich im Arbeitsvertrag oder in den Allgemeinen Anstellungsbedingungen eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung im Home-Office im Pandemiefall einführen.
3. Sollte im Arbeitsvertrag auch eine Entschädigung an die Miete geregelt werden?
Sicherlich gut ist die Regelung der Frage der Spesenentschädigungen und seit dem Bundesgerichtsurteil vom 23. April 2019 auch die Leistung eines Beitrags an die Miete für Home-Office zum Beispiel in der Höhe von CHF 150, der aber nur dann geschuldet wäre, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter zur Arbeit im Home Office verpflichtet. Dies deshalb, weil gemäss Art. 327a Abs. 1 OR der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer alle durch die Ausführung der Arbeit notwendig entstehenden Auslagen zu ersetzen hat. Davon kann gemäss Art. 327a Abs. 3 und Art. 362 OR ausschliesslich nur zugunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Vor Bundesgericht hat der Beschwerdegegner zwar nicht geltend gemacht, dass er das Zimmer, welches als Arbeitszimmer bzw. Archiv genutzt wurde, im Hinblick auf die Home-Office-Arbeit gemietet hat. Unbestritten war aber, dass dem Beschwerdegegner kein geeigneter Arbeitsplatz beim Arbeitgeber zur Verfügung stand. Das Bundesgericht und die Rechtslehre argumentiert für diesen Fall zu Recht, dass wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keinen bzw. keinen geeigneten Arbeitsplatz anbiete, die Arbeitsinfrastruktur zu Hause für die Berufsausübung jedenfalls notwendig und nach Art. 327a OR erstattungspflichtig sei. Es liegt nämlich fast eine identische Situation vor, wie wenn ein Arbeitnehmer aufgrund der Home-Office-Arbeit ein zusätzliches Zimmer zu mieten hätte.
4. Waren die Arbeitnehmenden verpflichtet, im Home-Office ihr privates Arbeitsmaterial einzusetzen?
Vor der Corona-Krise wäre dies rechtlich nicht möglich gewesen. Der Arbeitgebende hätte sein Personal von Gesetzes wegen mit allem nötigen Equipment ausrüsten müssen. Da die Notwendigkeit zu Home-Office jedoch plötzlich und unerwartet auftrat, war eine solche Ausstattung der Angestellten wohl für viele Arbeitgebende und insbesondere KMU faktisch kaum möglich. Wegen dieser Kurzfristigkeit der Massnahme und ihrer nur vorübergehenden Dauer dürfte der Einsatz der privaten Geräte gestützt auf die Treuepflicht gerechtfertigt gewesen sein.
5. Sollte die Arbeitsmaterial-Nutzung ebenfalls vertraglich geregelt werden?
Ja sicher, es besteht ja in bestimmten Grenzen die Vertragsfreiheit. Zur Schaffung von Rechtssicherheit würde sich auch hier für die Zukunft eine vertragliche Regelung zur Nutzung des privaten Equipments aufdrängen. Besser wäre natürlich, wenn die Arbeitgebenden ihre Angestellten schon vorsorglich mit dem nötigen technischen Equipment für eine rasche Umstellung auf Home-Office ausrüsten würden. Dies kann allerdings kostspielig werden.
6. Mussten die Arbeitnehmenden ihre persönlichen Computer für die beruflichen Funktionen selbst umrüsten?
Aufgrund der besonderen Umstände waren die Angestellten wegen ihrer Treuepflicht hierzu verpflichtet, solange die Umsetzung zumutbar und faktisch möglich war. Bei Bedarf musste der Arbeitgebende aber seinen Angestellten den nötigen Support anbieten. Diese gegenseitigen Pflichten könnten ebenfalls vertraglich geregelt werden, soweit keine vorsorgliche technische Lösung möglich sein sollte.
7. Sind die Arbeitgeber zur Tragung der Kosten für das Home-Office verpflichtet?
Ja und zwar gestützt auf Art. 327a OR. Trotz der Krise sind die Arbeitgebenden von Gesetzes wegen verpflichtet, die Kosten zu übernehmen, etwa zu einem kostenpflichtigen Computerprogramm, das der Arbeitnehmende herunterladen musste. Hier gibt es also eigentlich keinen vertraglichen Regelungsbedarf. Das Problem dürfte vielmehr sein, dass viele Arbeitnehmende ihre Ausgaben etwa für Telefon, Strom oder Drucker kaum dokumentiert haben dürften und deshalb nachträglich keine Forderung herleiten und belegen können.
8. Gibt es eine Lösung für dieses Beweisproblem der persönlichen Auslagen?
Da das Home-Office zeitlich begrenzt war, könnte der Arbeitgebende seinem Personal die Kosten nachträglich kulanzweise mit einer Pauschale vergüten. Für die Zukunft wäre zudem auch hier denkbar, die pauschale Vergütung und nach Möglichkeit auch ihre Höhe für den Pandemiefall bereits vorgängig vertraglich festzuschreiben.
9. Wer trägt die Kosten bei Schäden, die im Rahmen des Home-Office entstehen?
Für Schäden am persönlichen Equipment muss der Arbeitgeber aufkommen, soweit diese direkt mit der beruflichen Tätigkeit zusammenhängen. Absichtliche Beschädigungen sind natürlich ausgeschlossen. Die Arbeitnehmenden müssen aber ihrerseits für Schäden aufkommen, welche sie dem Arbeitgebenden verursachen. Hierbei sind aber in der aktuellen Zeit auch die besonderen Umstände zu berücksichtigen. Wenn der Arbeitnehmende etwa Kinder hat und kein separater Raum für die Arbeit zur Verfügung steht, dann dürfte das Risiko von Schäden höher sein als bei Alleinstehenden. Die Arbeitgebenden sollten in solchen Fällen zurückhaltend mit Forderungen sein und generell bei leichter Fahrlässigkeit ganz auf eine Entschädigung verzichten. Die Parteien sollten auch abklären, welche Schäden die private bzw. Betriebs-Haftpflichtversicherung übernehmen muss.
10. Können Arbeitnehmende ein längerfristiges Home-Office ablehnen?
Im Home-Office machen Arbeitnehmende häufig zu wenig Pausen und fühlen sich verpflichtet, stets erreichbar zu sein, was zu Überlastungen und gesundheitlichen Problemen führen kann. Der Arbeitgeber muss aufgrund seiner gesetzlichen Fürsorgepflicht und den Gesundheitsschutzvorschriften des Arbeitsgesetzes die Gesundheit des Arbeitnehmers schützen, was auch für die Arbeit im Home-Office gilt. Der Arbeitgeber ist allerdings darauf angewiesen, dass die Arbeitnehmenden ihn über gesundheitliche Probleme informieren. Sollte die Arbeit im Home-Office aus objektiven Gründen unmöglich sein, etwa wegen andauernden Lärms oder Ablenkung, muss der Arbeitgeber alles Zumutbare unternehmen, um eine alternative Arbeitsmöglichkeit zu organisieren.
11. Können Arbeitnehmende dazu verpflichtet werden, wieder ins Büro zurückzukehren?
Ja, Arbeitnehmende die jetzt Gefallen am Home-Office gefunden haben, oder die Bedenken wegen möglicher Ansteckungsrisiken im öffentlichen Verkehr oder am Arbeitsort haben, können an den vertraglich vereinbarten Arbeitsort zurückbeordert werden, sofern sie nicht zur gefährdeten Gruppe gehören. Als gefährdet gelten Personen ab 65 Jahren und solche mit Bluthochdruck, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, diese dürfen nur mit geeigneten Schutzmassnahmen vor Ort beschäftigt werden (ohne engen Kontakt mit anderen Personen und mit geeigneter persönlicher Schutzausrüstung), falls die Präsenz unabdingbar ist. Ist dies nicht möglich, dürfen gefährdete Mitarbeitende bei vollem Lohn zu Hause arbeiten.
Denis G. Humbert
Dr. iur. Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Arbeitsrecht, Partner Humbert Heinzen Lerch Rechtsanwälte
Denis G. Humbert ist Partner bei Humbert Heinzen Lerch Rechtsanwälte, eine auf Arbeitsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei in Zürich. Sie wurde vom Wirtschaftsmagazin "Bilanz" und der Zeitschrift "Le Temps" als führende "Top Anwaltskanzlei im Arbeitsrecht" ausgezeichnet. Denis G. Humbert berät Arbeitgeber und Arbeitnehmer in sämtlichen arbeitsrechtlichen Fragen und vertritt diese auch vor den staatlichen Gerichten.
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