Verantwortung übernehmen – was bedeutet das eigentlich?
In einer Bilanz zur Jubiläumsumfrage zu Führung in der Schweiz regte ich eine Diskussion über «gute» Führung in der Schweiz an. Auslöser sind veränderte Prioritäten der zukünftigen Führungswerte und Gedanken zum Erfolgsmodell des "Zufallsprodukts" Schweiz.
Während typische Schweizer Eigenschaften der Führung an Bedeutung verlieren, werden wenig typische Führungsqualitäten, wie Flexibilität, Begeisterungsfähigkeit, Risikobereitschaft und Kooperationsfähigkeit an Wichtigkeit zunehmen (siehe SKO-Artikel). Angesichts des technologischen Wandels und der Entgrenzung und Vernetzung in der Arbeitswelt müssen Schweizer Führungskräfte als Vorbild vorangehen, indem sie ihr eigenes Führungsverständnis und -verhalten hinterfragen. Es geht aber nicht nur um neue Kompetenzen. Sondern um den Beitrag als Führungskraft an der nachhaltigen Entwicklung des Erfolgsmodells Schweiz.
«Wenn die Gesellschaft ein Motor ist, dann ist die Wirtschaft ihr Getriebe, Verantwortung der Treibstoff und Vertrauen das Getriebeöl.»[1]. Ohne ein Verständnis, was den Erfolg unseres Landes ausmacht, wird das «Zufallsprodukt» Schweiz in einer digitalisierten, globalen Welt auseinanderfallen. Es sind nicht Sprache, Kultur, Religion oder die Geographie, sondern ein Netz verschiedener Faktoren, welche die Schweiz zusammenhalten[2]. Wenn die Gesellschaft Schweiz weiterhin erfolgreich sein soll, dann darf sich der Treibstoff «Verantwortung» nicht nur auf das Getriebe konzentrieren. Verantwortung durchdringt alle Bereiche - Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und das Privatleben.
Accountable oder responsible?
Im Englischen gibt es für Verantwortung die Unterscheidung zwischen «responsible» und «accountable». Nach meinem Verständnis fokussiert ein «accountable» Leader darauf, Rechenschaft für seine Resultate und Aktionen abzugeben. Diese Art Verantwortungsübernahme ist nach aussen gerichtet und eher rückwärtsgewandt. Sie dient der Effizienz, der Performance und der hierarchischen Ordnung, indem man kompatibel mit dem System und den darin verankerten Standards und Verhaltensweisen ist.
Im Gegensatz zu Accountabilty ist Responsibility zukunftsorientiert. Ein «responsible» Leader übernimmt Verantwortung für sich und seine Umwelt. Diese Verantwortung ist unabhängig von Hierarchie und intrinsisch motiviert. Man erkennt aufgrund der moralischen Reife den Sinn der Verantwortung und hat den Willen, Verantwortung anzunehmen, in dem man nach eigenen Werten urteilt und handelt, Dinge verändert, andere Menschen miteinbezieht und Hindernisse überwindet. In Organisationen und Gesellschaften braucht es beides: eine interne Motivation, Verantwortung zu übernehmen und für die eigenen Ergebnisse und die des Teams gerade zu stehen.
Was heisst das für die Führungskräfte in der Schweiz?
Gute Führung ist nachhaltig und übernimmt Verantwortung für unsere Gesellschaft. In der deutschen Studie «Führungskultur im Wandel»[3] wird die zunehmende Bedeutung des Ausgleichs der Ansprüche und Interessen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen betont. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen, wie Digitalisierung, Klimawandel und wachsende Ungleichheiten, ist es mehr denn je notwendig, die individuelle, organisatorische und gesellschaftliche Entwicklung gemeinsam zu denken, um Ergebnisse zu erzielen.
Es braucht ein breites Verständnis darüber, was die Schweiz zusammenhält und in Zukunft zusammenhalten soll. Nur so können wir Verantwortung für die bindenden und Erfolgsfaktoren der Schweizer Gesellschaft übernehmen. Ansatzpunkte sind z.B. die direkte Demokratie, die Offenheit, das Milizsystem, die Sprachenkompetenz und ein austariertes, aber flexibles System zwischen Integration und Föderalismus.
In Organisationen braucht es eine Diskussion über den Umgang mit Verantwortung. Wie wird Verantwortung definiert? Welche Verantwortungsqualität und Rollenmodelle für Führungskräfte erwarten wir und wie setzen wir diese um? Wer schreibt wem welche Verantwortung zu und mit welchen Konsequenzen? Wie fördern wir das Zusammenspiel von Reflexion und Handeln, um die Verantwortungsqualität zu verbessern? Während Responsibility als Haltung und Verhalten vor allem bei der Auswahl und Beförderung von Mitarbeitenden wichtig ist, trägt Accountability zu einem gemeinsamen Verständnis bei, welche Resultate - auch für die Gesellschaft - zu erzielen sind. Accountability ist die Basis für eine leistungsorientierte, gemeinschaftliche Kultur, die nach vorne schaut und kontinuierlich lernt. Dies steht im Gegensatz zu Kulturen, wo Accountability vor allem der Schuldzuweisung dient.
- Das Erkennen von Gesamtzusammenhängen, die Vermittlung von Respekt, Wertschätzung sowie die Bereitschaft, Transparenz zu schaffen, unterschiedliche Perspektiven zusammenzuführen und Resultate zu erzielen, sind gute Grundlagen für verantwortliches Handeln. Übernimmt eine Führungskraft in diesem Sinne Verantwortung für sich, sein Team, das Unternehmen und die Gesellschaft, erhält sie Loyalität, Respekt und Engagement und baut so Vertrauen auf - das Getriebeöl für die Wirtschaft.